Dienstag, 13. Oktober 2015

Wolkenkratzer in Florenz



























Das ist kein Zukunftsszenario sondern ein Blick in die Vergangenheit

Im Jahr 1277 war Florenz eine boomende Metropole.

300 gigantische Türme, die dicht gedrängt in den Himmel schossen, waren Ausdruck von Macht und Reichtum. Die wohlhabenden Familien wetteiferten, wer den höchsten und schönsten Turm besaß. Zahlreiche Gebäude stürzten ein, da die Erbauer zu hoch hinaus wollten. Die Stadtverwaltung sah sich bereits im Jahr 1250 gezwungen die Höhe der Türme auf 27,5 Meter – das wären heute 9 Stockwerke -zu begrenzen. Was darüber lag musste auf dieses Maß gekürzt werden. 

Geschlechtertürme

Die Geschlechtertürme der adeligen Familien prägten die mittelalterliche Stadtkulisse.
Der alte Adel, der aus dem Umland in die Stadt gezogen war, hatte die Symbole seiner feudalen Zeit mit hinüber in das städtische Leben genommen.
Die meisten Türme sind um 1200 entstanden. Sie symbolisierten die Macht und den Stolz der adeligen Familien. Kaufleute und Bankiers, die durch den Handel reich geworden waren, versuchten mitzuhalten und errichteten ebenfalls Türme.

Der Eingang zum Turm lag in der Regel nicht im Erdgeschoss, sondern im ersten Stock und war nur durch eine hölzerne Leiter oder Brücke zu erreichen. In friedlichen Zeiten, bauten befreundete Nachbarn hölzerne Verbindungsbrücken in schwindelerregenden Höhen. So konnte man sich von Turm zu Turm besuchen.
 
Belagerungen und Wurfgeschosse

Die Ritter und adeligen Familien waren zwar von ihren Landsitzen in die Stadt gezogen, aber sie hatten ihre alten Lebensgewohnheiten nicht aufgegeben. Meistens waren die Familienclans in irgendwelche Streitigkeiten und Kämpfe verwickelt.

Der kleinste Anlass genügte und schon begannen die innerstädtischen Kämpfe von Turm zu Turm. Sie bewarfen sich mit Steinen und anderen Wurfgeschossen und gossen heißes Pech von den Türmen.

Die Wohntürme wurden immer mehr zu Fluchtburgen erweitert in denen die feindlichen Familien über Wochen und Monate gegenseitige Belagerungen aushalten konnten. Trutzige Bauten, von Turmgesellschaften organisiert, zu denen sich mehrere Familien oder ganze Straßenzüge zusammenschlossen, dienten der Verteidigung und des Angriffs.

Ein Augenzeugenbericht
Rohault de Fleury (ca. 1400) schildert sehr anschaulich, wie sich ein Kampf mitten in der Stadt abspielte. Hier ein kleiner Auszug des Textes:
 
„….die Aufrüstung des Turms wird vollendet, indem man eine leichte Brücke bis zum nächsten Turm der Lancia zur Cersina hinübergestreckt hat und auf die zu diesem Zwecke hervorkragenden Konsolen aufgelegt hat, damit beide Ghibellinentürme vereint den Guelfenturm Figiovanni bekämpfen können.
Nun ist alles bereit. Die Söldlinge liegen auf dem Boden und erwarten die Sonne, die über dem Appennin aufgeht. Der Morgenwind entfaltet die Fahnen mit den Farben und Wappen der Partei.
Die Leute spannen die Leinen ihrer Schleuderruten, welche Steine aus dem Ledersack werfen. Der Kampf wird allgemein, die Steine durchfliegen die Luft wie Sternschnuppen, und dazwischen schlagen sicheren Schusses die Pfeile ein. ……
Während das oben auf den Türmen geschieht, wird unten um die Barrikaden gekämpft. Die Ghibellinen ziehen sich in ihren Turm zurück, holen die Leiter herauf, schließen die Pforte und besetzen die Überzimmer. Wie die Guelfen Stroh und Reisig am Fuße des Turms anhäufen und anzünden wollen, werden sie durch einen Hagel von Pfeilen zurückgetrieben. 
Da schreit einer nach Tischen! Gleich werden diese aus den benachbarten Häusern herangebracht, aneinandergerückt und so eine Galerie gebildet, unter der nun das Brennmaterial auflodert und die Turmpforte in kurzer Zeit zu Asche verbrennt. 
Die Angreifer dringen ein, aber die Strickleitern sind aufgezogen und es gibt keine Möglichkeit zu den Ghibellinen hinauf zu gelangen. – Nun wird eine Leiter gebracht und zu einem Loch in der Decke aufgerichtet. Die Tapfersten steigen hinauf und müssen von Stockwerk zu Stockwerk gleichermaßen den Sturm fortsetzen….“ (Den gesamten Text finden Sie im Anhang)
 
Wohlstand und Toleranz


Trotz der immer wieder aufflackernden Streitigkeiten und Kämpfe rivalisierender Familien, entwickelte die Stadt am Arno eine für damalige Verhältnisse erstaunlich offene und tolerante Gesellschaft. Schon früh hatten die Familien des städtischen Adels familiäre Bande mit den reichen bürgerlichen Familien geknüpft, so dass im Laufe des 13. Jahrhunderts etwa 60 bis 70 der reichsten und mächtigsten Familien der Toskana gemeinsam die Geschicke von Florenz lenkten. 


Stadt und Land tauschten Menschen, Waren und Ideen aus. Ritter und Bürger, Adelige und Kaufleute sahen sich nicht nur täglich auf den Straßen, sondern machten auch Geschäfte zusammen und lebten Tür an Tür. Die Welt der Florentiner im Jahr 1277 war voller Widersprüche. Unbändiger Lokalstolz, feste Verwurzelung im heimatlichen Stadtviertel verbanden sich mit internationalem Flair und kosmopolitischer Lebensart.
Der Alltag war genauso von religiösen Ritualen und  einem unerschütterlichen Glauben an die Kraft heiliger Bilder geprägt, wie von nüchternem kaufmännischen Kalkül und städtischem Freiheitsdenken. 
Wie ein Magnet zog Florenz die Menschen an. Im Jahr 1200 hatte die Stadt ca. 30.000 Einwohner, 1250 waren es bereits 60.000 und im Jahr 1280 lebten rund 100.000 Menschen in Florenz. Die Einwohnerzahlt hatte sich in 80 Jahren mehr als verdreifacht.

Stadtansicht

Die mittelalterliche Stadtansicht ist fast völlig verschwunden. Die prächtigen Renaissancebauten, wie zum Beispiel der Dom mit seiner beeindruckenden Kuppel, prägen heute das Stadtbild von Florenz.








 
Auf der frühsten noch erhaltenen Gesamtansicht von Florenz aus dem Jahr 1352, die sich im Saal des Consiligio del Bigallo, befindet, erkennt man noch deutlich die zahlreichen in die Höhe strebenden mittelalterlichen Wohntürme. 
Aus der Zeit des 13. Jahrhunderts sind nur wenige markante Gebäude, wie zum Beispiel das Baptisterium, der spitze Turm der Badia Santo Stefano und gegenüber, das ehemalige Rathaus Bargello sowie die Kirche San Miniato al Monte oberhalb von Florenz.
 
Spurensuche 

Viele Bauten wurden bereits im Mittelalter bei innerstädtischen Auseinandersetzungen zerstört. Andere fielen städtebaulichen Projekten zum Opfer oder wurden irgendwann wegen Baufälligkeit abgerissen.
Leider wurden im zweiten Weltkrieg bei Bombenangriffen viele bis dahin noch erhaltene Türme zerstört. Die meisten Türme wurden im Laufe der Zeit gekürzt und die unteren Etagen in die modernen Häuser integriert. 


Erst auf den zweiten Blick, und nur wenn man ganz genau hinschaut, entdeckt man zahlreiche Reste der einst so gewaltigen Wohntürme in den heutigen Einkaufsstraßen von Florenz. Besonders nördlich der Piazza della Signoria kann man noch zahlreiche Turmreste entdecken. Aber es gibt in Florenz auch noch einige sehr gut erhaltene Wohntürme, wie zum Beispiel den Torre Donati an der Piazza di San Piero Maggiore.






Fazit:
Florenz war einerseits eine blühende weltoffene Handelsstadt aber andererseits noch tief in der mittelalterlichen Tradition verwurzelt. Das Stadtbild wurde im Jahr 1277, zu der Zeit als Giotto di Bondone seine Malerlehre in Florenz begann, von spitzen gotischen Kirchtürmen und wehrhaft in den Himmel ragenden eckigen Wohntürmen geprägt. Heute ist davon auf den ersten Blick wenig erhalten.  Begibt man sich allerdings auf Spurensuche, so entdeckt man noch zahlreiche Gebäude der Giottozeit. 
Anhang

Der ganze Bericht von Rohault de Fleury (ca. 1400) entnommen aus: 
Micheal Braune, „Türme und Turmhäuser“,  Köln, 1983 Seite 97ff:
„Zimmerleute tragen Balken herbei, mit denen sie die Straßen zu gewissen Bezirken mit Barrikaden absperren, die sie mit Brettern, in denen Scharten eingeschnitten sind, bekleiden. Beim Schein der Fackeln rückt die Arbeit tumultartig aber rasch vorwärts. Straße um Straße, Gässchen um Gässchen bis ein Stadtteil als Zitadelle umschlossen ist. Dort hängt ein Arbeiter an einem Seil 30 Meter über dem Boden und schiebt die ersten Balken einer Konstruktion in die Mauerlöcher. 
Alle Hölzer sind zu diesem Zweck im Voraus nummeriert. So entsteht ein Balkenwerk, der Bretterboden, die Wände und das überhängende Dach rings um den Turm, der selbst keine Scharten hat. Um die Plattform werden Zinnen von Holz errichtet. Dort sind Leute beim Schein einer Pechpfanne beschäftigt, einen Mangane aufzustellen, indem sie die Schwellen legen, die Räder in die Zapflöcher stellen, die Schleuderruten nach dem Kampfplatz richten und vor ihr Steine und Steinböcke aufhäufen, die sie mit einem Kran heraufgezogen haben.
Die Aufrüstung des Turms wird vollendet, indem man eine leichte Brücke bis zum nächsten Turm der Lancia zur Cersina hinübergestreckt hat und auf die zu diesem Zwecke hervorkragenden Konsolen aufgelegt hat, damit beide Ghibellinentürme vereint den Guelfenturm Figiovanni bekämpfen können.
Nun ist alles bereit. Die Söldlinge liegen auf dem Boden und erwarten die Sonne, die über dem Appennin aufgeht. Der Morgenwind entfaltet die Fahnen mit den Farben und Wappen der Partei.

Die Leute spannen die Leinen ihrer Schleuderruten, welche Steine aus dem Ledersack werfen. Der Kampf wird allgemein, die Steine durchfliegen die Luft wie Sternschnuppen, und dazwischen schlagen sicheren Schusses die Pfeile ein.
Die Arbeiter an den Manganen, rot gekleidet mit stählernem Helmen, halten ihre Posten, wenn auch ein Pfeil durch den Schild dringt, den sie herausziehen, oder die Toten auf dem engen Kampfraum den Lebenden weichen müssen. Die Steine werden wieder zurückgeworfen. Einer zerschlägt die Mangane der Lancia, von allen Guelfentürmen erschallt dien Siegesschrei. 
Während das oben auf den Türmen geschieht, wird unten um die Barrikaden gekämpft. Die Ghibellinen ziehen sich in ihren Turm zurück, holen die Leiter herauf, schließen die Pforte und besetzen die Überzimmer. Wie die Guelfen Stroh und Reisig am Fusse des Turms anhäufen und anzünden wollen, werden sie durch einen Hagel von Pfeilen zurückgetrieben.

Da schreit einer nach Tischen! Gleich werden diese aus den benachbarten Häusern herangebracht, aneinandergerückt und so eine Galerie gebildet, unter der nun das Brennmaterial auflodert und die Turmpforte in kurzer Zeit zu Asche verbrennt. 
Die Angreifer dringen ein, aber die Strickleitern sind aufgezogen und es gibt keine Möglichkeit zu den Ghibellinen hinauf zu gelangen. – Nun wird eine Leiter gebracht und zu einem Loch in der Decke aufgerichtet. Die Tapfersten steigen hinauf und müssen von Stockwerk zu Stockwerk gleichermassen den Sturm fortsetzen. Eine Seitenpforte öffnet sich und die Verteidiger erscheinen auf der Brücke, die zum nächsten Turm der Cersina führt.
Der Feind dringt ihnen nach – doch da haben sie die Brückenbalken von den Tragsteinen abgeworfen, und Brücke und Verfolger stürzen in die Tiefe hinab. Das hindert nicht, dass am anderen Tag der Kampf fortgesetzt wird.“
Weitere Literatur:

Braunfels Wolfgang, Mittelalterliche Stadtbaukunst in der Toskana, Gebr. Mann Verlag, Berlin 1988
Beuys Barbara, Florenz Stadtwelt – Weltstadt, Urbanes Leben von 1200 bis 1500, Rowohlt Verlag, Reinbeck 1992
Tragbar Klaus, Vom Geschlechterturm zum Stadthaus, Münster 2003
Fanelli G., Firenze: architettura e città, Florenz 2003

 

 

 

 

 

 

 

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